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VERMERK: Abkürzungen zur angeführten Literatur s. Literatur


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Viertes Kapitel

BETÄTIGUNGEN ‘CONTRA’:
WO  IST  HIER
DER  MENSCH ?
*       *       *
Anthropologische Bewertung

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ERKLÄRUNG. – Anthropologie [griech.: ánthropos – Mensch; lógos – Wort; Lehre, Wissenschaft] bedeutet: Lehre hinsichtlich dess Menschen vom philosophischen Blickpunkt her, d.h. vom Mensch-Sein als Geschöpf, das zugleich Leib und Geist ist.
Die „anthropologische Bewertung” berücksichtigt den Menschen in seiner Würde als Person. Als ‘Person’ kennzeichnet sich der Mensch daselbst mit bestimmten unabtrittbaren und unabwendbaren Eigenschaften, über die es im Folgenden nachzudenken gilt.


Zur Einführung

Die Erwägungen über das medizinische Ausmaß der Entfruchtigung des Geschlechtsaktes führen unausbleiblich zur Reflexion ethischer Natur. Es fragt sich nämlich: Ob das, was von der nicht eingenommenen Vernunft als Übel gewertet werden muss, zumal es das Leben des Kleinen Menschen angreift, nicht der Bezeichnung gleichkommen sollte, die in Gottes Offenbarung als Sünde genannt wird, d.h. als „Übel in Gottes Augen” (Ps 51,6; SRS 38)? Die Sündhaftigkeit der Entfruchtigung des Geschlechtsaktes erhellt schon aufgrund der medizinischen Reflexion, auch wenn wir uns darum erst im Licht Gottes-der-Liebe genauer bewusst werden, der voller Besorgtheit seinem lebendigen Ebenbild im V. Gebot sein Wort darbietet: „Du sollst nicht töten(Ex 20,13; Mt 19,19), wogegen dieselbe Gottes Liebe im VI. Gebot liebend – mit großem Nachdruck sagt: „Du sollst nicht die Ehe brechen(ebd.)!

Gottes Gebote werden apodiktisch formuliert. Gott beruft sich auf keine irgendwelche Beweisgründungen. Die Vernunft sagt vor, dass Gott, der der „allein Gute” ist (Mk 10,8) – würdig ist, dass Ihm Vertrauen geschenkt wird, auch wenn Er schwierigere Aufgaben anbietet. Ist doch Gott unabänderlich „die Liebe” (1 Joh 4,8.16)!
– Dennoch es ist dem Menschen wohl erlaubt, voller Fügsamkeit einen Versuch unternehmen zu wagen, um nach der Triftigkeit sowohl der Gebote Gottes überhaupt, wie auch des Standpunktes der Kirche, der sich im Prinzip selbst vom Standpunkt Gottes unmöglich unterscheiden kann, nachforschen zu dürfen.

Gemäß des früher abgerissenen Aufbaus des zweiten Teiles unserer WEB-Site (s. ob.:   Plan der weiteren Erwägungen) möchten wir in diesem 4. Kapitel des hiesigen zweiten Teiles unserer Homepage den Versuch eines vertieften Blickes auf die Problematik der elterlich-widrigen Maßnahmen vom Gesichtspunkt aus des Menschen als Menschen anbieten. Die Verehrten Leser erlauben, dass wir hier die tiefgehenden Erwägungen Johannes Paul II. über die Thematik der Liebe und die damit zusammenhängende Frage ethischer Verhaltensweisen angesichts der Elternschaft reichlich benutzen werden.

A.
   VERKEHR:
HINGABE DER PERSON

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1. Verdichteter Sinn
der Ehe

Die anthropologische Beweisgründung, die hier angewendet werden wird, um die ethische Bewertung der elterlich-widrigen Handlungen besser verstehen zu lernen, beruht auf Prämissen der personalistischen Sicht des Menschen. Sie betrachtet nämlich den Menschen in seiner Würde als Person, also nicht als eines nur ‘Gegenstandes-Dinges’. Allerdings wir bereichern sie um Elemente, die vom Christentum herkommen, indem es in so manchem die Frage bereichern kann: Wer ist der Mensch, den Jesus Christus erlöst hat.

Mit anderen Worten, außer Voraussetzungen philosophischer Natur (der personalistischen Anthropologie) werden wir dauernd Prämissen theologischer Natur berücksichtigen (Theologie: Lehre über Gott und Gottes Eigenschaften, über die Schöpfung und Erlösung des Menschen). Diese Prämissen kommen in diesem Fall vom Glauben auf Gott her. Gott aber hat sein Selbst „bis zu Letztem” in Jesus Christus, dem Gott-Menschen, geoffenbart. Daran wurde in dieser Homepage schon des Öfteren angeknüpft, u.a. im 1. und 2.Kapitel dieses zweiten Teiles.

Wir werden uns auch weiter mit freudevollem Vertrauen auf Gott selbst und den Sohn Gottes Jesus Christus berufen. Nicht um irgendjemanden anders glaubenden zu beleidigen, sondern um sich im Empfinden einer voller Zuversicht, demütigen – und doch Gewissheit dieses Glaubens gleichsam ‘belobigen’ zu können, dass der Herr sich Selber von so nahe her zu kennen lernen dargeboten hat. Die Glaubensüberzeugung wird angesichts eines jeden anders Denkenden zum herzensvollen Wunsch, er möge unvoreingenommen alles allein, selbst – objektiv überprüfen, um so vielleicht selbst Teilhaber am selben übernatürlichen Glauben, an der Hoffnung und der Liebe werden zu können.

Gegenseitige Hingabe und Annahme

Die anthropologische Beweisführung, um dank ihrer den Standpunkt der Kirche in Frage elterlich-widriger Betätigungen zu verstehen, geht von der Reflexion über die Würde von Mann und Frau als Personen aus, die sich zusätzlich miteinander mit dem Band des ehelichen Gelöbnisses verbunden haben. Darüber wurde schon manches im ersten Kapitel dieses zweiten Teiles gesagt (s. ob., 1.Kap.: Friedensordnung des Vereinigungsaktes. Sinn des ehelichen Aktes – und die ganze weitere Folge dieses Kapitels). Liebe ist „in ihrer tiefsten Wirklichkeit ... wesenhaft Gabe” (FC 14; EV 92). Sie führt die Gatten zu einer Personen-Kommunion, die auf Lebens-Weitergabe hingeordnet ist. So wird es vom Zweiten Vatikanischen Konzil zur Erinnerung gebracht (1965):

„Die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe, vom Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt, wird durch den Ehebund, d.h. durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis gestiftet.
– So entsteht durch den personal freien Akt, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen, eine nach Göttlicher Ordnung feste Institution, und zwar auch gegenüber der Gesellschaft.
– Dieses heilige Band unterliegt im Hinblick auf das Wohl der Gatten und der Nachkommenschaft sowie auf das Wohl der Gesellschaft nicht mehr menschlicher Willkür. Gott selbst ist Urheber der Ehe, die mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet ist ...
– Durch ihre natürliche Eigenart sind die Institutionen der Ehe und die eheliche Liebe auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet und finden darin gleichsam ihre Krönung ...
– Diese innige Vereinigung als gegenseitiges Sichschenken zweier Personen, wie auch das Wohl der Kinder verlangen die unbedingte Treue der Gatten und fordern ihre unauflösliche Einheit ” (GS 48).

Ein wenig weiter fängt dasselbe Konzilsdokument wiederholt die Frage des personalen Sichschenkens der Gatten auf, ohne diesmal deutlich an die Elternschaft anzuknüpfen:

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Dass auch solches vorkommen kann, dass ein Schmetterling ohne Angst auf der Nase dieses bedrohlichen Hundes landet? Dieser würde ihn germ schlucken, allerdings der Schmetterling hat sich einen geborgenen Landungsort gefunden ...!

„Diese eigentümlich menschliche Liebe (zwischen Mann und Frau) geht in frei bejahter Neigung von Person zu Person, umgreift das Wohl der ganzen Person.
– Sie vermag so den leib-seelischen Ausdrucksmöglichkeiten eine eigene Würde zu verleihen und sie als Elemente und besondere Zeichen der ehelichen Freundschaft zu adeln.
– Diese Liebe hat der Herr durch eine besondere Gabe seiner Gnade und Liebe geheilt, vollendet und erhöht.
– Eine solche Liebe, die Menschliches und Göttliches in sich eint, führt die Gatten zur freien gegenseitigen Übereignung ihrer Selbst, die sich in zarter Zuneigung und in der Tat bewährt, und durchdringt ihr ganzes Leben; ja, gerade durch ihre Selbstlosigkeit in Leben und Tun verwirklicht sie sich und wächst. Sie ist viel mehr als bloß eine erotische Anziehung, die, egoistisch gewollt, nur zu schnell wieder erbärmlich vergeht” (GS 49; s. auch: KKK 2346).

Die angeführten Äußerungen weisen zwar auf die Ehe als Gottes Werk hin. Doch diese Lehre wächst aus der Reflexion über das gegenseitige personale Band zwischen den Gatten hervor. Das Konzil betont den menschlichen Charakter der gegenseitigen Übereignung von Mann und Frau. Ihr ist ein physisch-sinnliches Ausmaß eigen, aber umso mehr ein geistiges. Die Liebe gestaltet die leiblichen Zeichen dauernd „in frei bejahter Neigung (Gefühl)” um, die aufgrund „der ehelichen Freundschaft” aufkeimt und „das Wohl der ganzen Person umgreift”.

Die Kirche stellt fest, dass die „freie gegenseitige Übereignung seiner Selbst” – die „bloß erotische”, d.h. egoistisch, auf Konsumtion eingestellte „Anziehung” wesentlich überragt. Die wesentliche Rolle gebührt der deutlich hervorgehobenen „Freiwilligkeit” dieser beiden, die sich „durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis” auf „Treue” und „unauflösliche Einheit” entscheiden.
– Die eheliche Liebe kann nicht die Reaktionen zum Muster nehmen, wie sie sich bei der Kopulation der Tiere abspielen. Sie soll dagegen auf die „Göttliche Ordnung”  hinblicken, dernach Gott die Ehe als „feste Institution” und „heiliges Band” gegründet hat, das „nicht mehr menschlicher Willkür” unterliegt. Mann und Frau sind unabdingbar zwei Personen. Das bestimmt ihre Würde, aber auch ihre unveräußerliche Verantwortung:

„Diese eigentümlich menschliche Liebe geht in frei bejahter Neigung von Person zu Person,
umgreift das Wohl der ganzen Person ...” (GS 49).

„... durch den personal freien Akt, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen ...” (GS 48).

Die Erwägungen des Konzils machen bewusst, dass das Zusammenwerden von Mann und Frau in ehelicher Gemeinschaft nicht aufgrund eines vom Geschlechtsbetrieb ausgeübten Zwangs zustande kommt. Das Leben in Ehe ist eine dauernd erneuerte Herausforderung, die aufgrund der Freiheit dieser beiden auftaucht. Erst so kommt die Würde der Natur von Mann und Frau zum Vorschein. Diese beiden sind keine nur zwei Körper, fähig auf sexuelle Anregungen zu reagieren. Ihre innere Struktur ist personal. Beide sind auch fähig, „sich selber von innen her” zu sehen (s. Johannes Paul II, Dritte Pilgerfahrt in die Heimat. Ansprache in der Aula der KUL, Lublin 9.VI.1987, p. 5; OR-D 17 (1987/28/10.VII.1987) 14f.; DAS-1987, 767). Die Ausstattung mit Selbstbewusstsein aber bedeutet „gebundensein mit der erkannten Wahrheit” – „gebunden”, also auch „‘verpflichtet’ zu deren Anerkennung”. Der Mensch entdeckt, dass er berufen ist, „sich selber in der Wahrheit zu transzendieren” (s. Johannes Paul II., ebd.; DAS-1987, 767), d.h. sich selbst zu überschreiten. Wahrheit des Seins nimmt einmal mehr das Ausmaß des Guten an (lat.: ens et bonum convertuntur: Das Sein und das Gute bilden wechselseitige Wirklichkeit).

Mann und Frau werden sich bewusst, dass sie „personales Subjekt, Person” sind. So werden sie beide „Auge zu Auge mit ihrer eigenen Würde konfrontiert” (s. Johannes Paul II., ebd.). Diese heißt sie, die Verantwortung für das eigene Wohl, das Wohl dieses anderen und der Nachkommenschaft zu unternehmen. Beide als Personen sind befähigt, nach dem im gegenseitigen Sich-Schenken enthaltenen Sinngehalt zu suchen und ihn zu finden, wie er darin vom Schöpfer und Erlöser eingeprägt worden ist: diesen einigenden-bräutlichen, und daselbst den elterlichen. Johannes Paul II. spricht in seinem Brief an die Familien (1994):

„Mit der Ehe geht eine einzigartige Verantwortung für das gemeinsame Wohl einher: zunächst der Ehegatten, und dann für das gemeinsame Wohl der Familie. Dieses gemeinsame Wohl ist der Mensch, der Wert der Person, die das Maß der Würde des Menschen ist. ... Im Bereich der Ehe und Familie wird diese Verantwortung (für die Würde des Menschen) aus vielen Gründen noch ‘verbindlicher’ ...” (BF 12).

Erzbischofs Wojtyła Erwägungen über das Wesen der Liebe

Wir schöpfen immer reichlicher aus den Erwägungen des ehemaligen Erzbischofs von Kraków, Karol Wojtyła, des späteren Johannes Paul II. Er erörtert die Anthropologie der Liebe vor allem in seiner ethischen Studie „Liebe und Verantwortung” (Abk.: LuV), die er noch vor dem Konzil (1960) veröffentlicht hat, lange bevor er Papst wurde. Wir benützen mit Dank seine Überlegungen, verfasst von der Sicht aus eines Menschen der Wissenschaft und zugleich Mannes des Gebets. Die Erwägungen des ehemaligen Erzbischofs von Kraków Karol Wojtyła lassen uns wohl von innen her und vom Abstand vor der personalen Würde – den Status zweier Menschen zu umfangen, die sich mit dem Liebe-Bund verbunden haben. Sie zeigen im eigentlichen Licht die ethischen Forderungen der Liebe als Gabe seines Selbst ganzen: der Person.


VERMERK. Die erwähnte Studie von Karol Wojtyła hat in Deutschland schon ein paar Übersetzungen erlebt. Die neueste ist folgender: „Karol Wojtyla (Johannes Paul II.), Liebe und Verantwortung, Eine ethische Studie”, Auf der Grundlage des polnischen Textes neu übersetzt und herausgegeben von Josef Spindelböck, Verlag St. Josef, 2010 (2., neu durchgesehene Auflage, Verlag St. Josef, A-3107 Kleinhain 6).
– Leider muss auch von dieser deutschen Übersetzung ähnliches gesagt werden, was der Verfasser dieser Homepage schon von anderen deutschen Übersetzungen der (ursprünglich polnisch geschriebenen) Dokumente des Magisteriums der Kirche zu sagen gewagt hat. Daher werden die hier angeführten Stellen der Studie in der Regel eigens und anders übersetzt – aufgrund der mehr ursprünglichen polnischen Fassung dieser Studie: „Miłość i odpowiedzialność. Studium etyczne. Wydanie 3, Londyn 1965 – Veritas”.
– Dagegen es werden hier Seitenverweise zu gerade dieser neuen Deutschen Übersetzung angegeben, so dass man die hiesige, eigene Übersetzung – mit der neuen Deutschen Übersetzung irgendwie doch vergleichen kann.
S. auch ob., Vermerk des hier Schreibenden Autors über die Übersetzungs-Qualität der offiziellen Deutschen Ausgaben der Lehramtlichen Texte des Heiligen Stuhles, vor allem Johannes Paul II.: Wichtige Bemerkung.


In der genannten Studie unterzieht der damalige Krakauer Erzbischof einer eingehenden Analyse u.a. die wesentlichen Komponenten, die den Menschen als Menschen ausmachen: die Vernunft – den Willen – die Verantwortung. Er hebt ihre grundsätzlichen Eigenschaften und Aufgaben hervor, indem er dazu eine eigenartige, sehr bezeichnende Terminologie einsetzt. Wir haben daran schon mehrmals angeknüpft – angefangen von der Darstellung dieser WEB-Site am Anfang (Portalseite).
– Eingehender wurde darüber auch schon im ersten Kapitel dieses zweiten Teils gesprochen. Dort wurde auch u.a. eine nützliche Graphik angeboten, um die grundlegenden Komponenten des Menschen als Person anschaulicher darzustellen (s. ob.: Unabtrittbare und unabwendbare Eigenschaften des Menschen als Person). Jetzt soll diese Frage nochmals, etwas genauer aufgegriffen werden. Wir zeigen auch noch einmal – gleich unterhalb – die erwähnte Grafik.

Grundsätzliche Ausstattung der menschlichen Natur: Vernunft-Wille-Verantwortung

Erzbischof Wojtyła weist darauf hin, dass das Selbst-Bewusstsein (dynamische Bezeichnung anstelle des allzu statisch begriffenen ‘Verstand-Vernunft’) mit der Befähigung der Vernunft verbunden ist, nach Wahrheit zu suchen und sie auch zu finden. Diese Befähigung bildet den kritischen Brennpunkt, der die Welt der Materie von der Welt der Menschen: der Personen scharf trennt:

„Das Erleben von Wahrheit oder Falschheit liegt gänzlich außerhalb der Befähigungen dessen, was die Materie aus sich selbst herauszuwirken imstande ist ...” (LuV 169f).

Um die ‘Wahrheit’ von ‘Nicht-Wahrheit’ unterscheiden zu können, bedarf es des Menschen: einer Person. Diese Fähigkeit überragt völlig alle Möglichkeiten nicht nur der ‘Materie’, sondern auch jedes Tieres. Nur der Mensch ist imstande gleichsam ‘von innen’ her: im Gewissen – die eigenen Taten zu erwägen, z.B. in Form der unternommenen ‘Gewissenserforschung’. Ein Tier kann keine Gewissenserforschung durchführen. Dazu benötigt es der Fähigkeit, sich besinnen zu können, sich im Licht der Wahrheit zu bewerten, und offenbar des engagierten freien Willens, d.h. der Befähigung zur Selbst-Bestimmung!

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Unveräußerliche und unabtrittbare Eigenschaften des Menschen als Person: Selbst-Bewusstsein, Selbst-Bestimmung, Fähigkeit die Verantwortung zu unternehmen und zurechnungsfähig zu sein. Diese Eigenschaften schaffen die Ausstattung jedes Menschen, unabhängig von seinem Alter und Aktivierung seiner vernunftmäßigen und physischen Vermögen. Jeder Mensch, auch dieser ganz Behinderte, und auch schon die Zygote = des gerade erst zusammengefügten Chromosom-Gefüges der Samenzelle mit der Eizelle: ab dieser Stunde schon Mensch-Person, ist mit diesen Eigenschaften ausgestattet. Und muss in gegebenem Zeitpunkt eine strikt persönliche Entscheidung fällen.

Das zweite Vermögen des Geistes des Menschen ist die Befähigung der Selbst-Bestimmung (dynamische Bezeichnung anstelle des bisher üblich gebrauchten: ‘freier Wille’). Es ist das geistige Vermögen, in dessen Kraft der Mensch befähigt ist freiwillige Wahlen zu treffen, die auf Gutes hingeordnet sind, das im Licht der erkannten Wahrheit als begehrenswert erscheint.

Die Zusammenstellung der erwähnten geistigen Vermögen des Menschen: die Wahrheit und das Gute – wird zum Grundboden für die weitere Eigenschaft des Menschen: seine Freiheit. Erst dieser Mensch, der der Wahrheit nachfolgt, wird wahrlich ‘frei’. Daher der Spruch von Wojtyła: „Die Wahrheit ist Voraussetzung für die Freiheit” (LuV 172f). Erzbischof Wojtyla sagt:

„Freiheit zusammen mit Wahrheit, Wahrheit zusammen mit Freiheit – entscheiden über das geistige Mal, das sich auf verschiedenen Erscheinungsformen des menschlichen Lebens und Handelns einprägt.
– Sie dringen gleichsam in die tiefsten Nischen der menschlichen Betätigungen und menschlichen Erlebnisse, sie füllen sie mit solchem Inhalt, dessen keinen Spuren wir im tierischen Leben begegnen.
– Gerade diesen Inhalten verdankt auch die Liebe zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts die ihr eigene Konsistenz. Auch wenn sie sich so stark und so deutlich auf den Leib und den Sinnen stützt, sind es doch nicht der Leib und die Sinne allein welche den ihr eigenen Grundinhalt und das ihr eigene Profil schaffen. Die Liebe ist immer irgendeine Angelegenheit des Inneren und Sache des Geistes. Im Maß, wie sie aufhört, Angelegenheit des Inneren und Sache des Geistes zu sein, hört sie auf, Liebe zu sein” (LuV 172).

In Form eines unmittelbaren Schlusses dürfte hier sofort auf eine Tatsache hingewiesen werden, die mit der Thematik unserer WEB-Site zusammenhängt. Und zwar aufgrund der Ausstattung mit Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ist der Mensch als solcher imstande sich zu besinnen und zur Erkenntnis zu kommen, wie der Sinngehalt der Ehe und der Sinn des Geschlechts-Aktes ist.
– Niemand kann sich von der Annahme der grundlegenden Feststellung der Wahrheit entziehen, dass der Akt des ehelichen Verkehrs, erst dann Mann und Frau zu vereinigen imstande ist, wenn sich diese beiden in selber Zeit auf das Leben hin weit aufschließen. Die Fähigkeit, einen solchen Sinn des Geschlechtsaktes zu erblicken und zu verstehen ist einem jeden Menschen eingeprägt. Der erwähnte Sinngehalt entspringt der inneren Struktur des gegenseitigen Sich-Schenkens und der gegenseitigen Annahme der beiden Gatten.
– Diese Struktur, samt der sie begleitenden Dynamik – besteht als objektive Ordnung. Das will bedeuten, dass sie unabhängig davon besteht, wie darüber die ‘Meinung’ dieser beiden ist und wie diese beiden ihre ehelichen Beziehungen in der Praxis gestalten. Von der Anpassung an diese Ordnung hängt es ab, ob Mann und Frau „sie-Selbst-werden”, d.h. ob sie im eingegangenen, lebenslangen Bund „sich-Selbst” wieder finden (vgl. GS 24).


Es gibt endlich noch das dritte geistige Vermögen, mit dem jedes menschliche Wesen vom Augenblick an seiner Empfängnis ausgestattet ist: die Fähigkeit, die Verantwortung unternehmen zu können. Sie kann auch anders bezeichnet werden: als das Vermögen, zurechnungsfähig sein zu können. Auch dieses geistige Vermögen ist un-veräußerlich und un-abtrittbar. Kein Mensch ist imstande diese Befähigung zunichte zu machen, noch sich von der Verantwortung für seine Taten und Gedanken zu entziehen.

Sinn der Ausstattung des Menschen
mit Vernunft-Wille-Verantwortung

Im Anschluss an die drei dargestellten Befähigungen der menschlichen Natur dürfte schon hier etwas ungemein Wichtiges dazugesagt werden – als Vorwegnahme für die weiteren Erwägungen. Die eingehende Besinnung um diese Eigenschaften: des Selbstbewusstseins, der Selbstbestimmung und Fähigkeit die Verantwortung auf sich nehmen zu können – heißt folgerichtig die grundlegende Frage auftauchen zu lassen: Wie ist die tiefere Absicht Gottes, dass Er den Menschen mit den erwähnten unabdingbaren Eigenschaften ausgestattet hat?

Schon als Johannes Paul II. greift der ehemalige Kardinal Wojtyła diese Frage bei immer anderen Gelegenheiten gern auf. Er betont dabei beharrlich, dass indem Gott dieses „einzige Geschöpf auf Erden, das Er um seiner Selbst willen gewollt hat” (den Menschen um des Menschen selbst willen; dass der Mensch da sei) (GS 24) – mit Vernunft-Freiheit-Verantwortung ausgestattet hat, ging es Ihm nicht darum, dass in der Welt endlich noch der ‘Mensch’ erscheint: das erste und einzige Wesen, das ‘zu denken’ befähigt sein wäre.
– Es bedeutete für Gott auch als etwas allzu weniges, wenn erst der Mensch zur Selbstbestimmung über sich selbst befähigt werden sollte: Ob er das eine möchte, oder das andere; ob er etwas gerade tun wollte, oder auch als mit freiem Willen begabtes Wesen gerade nicht tun wollte.
– Gott hat sich bei solcher Gestaltung des Menschen nach einem wesentlich höheren Ziel gerichtet, einem einzigen, das den Wert der ganzen bisher erschaffenen Welt unendlich überragt.

Die Verwirklichung dieser Gottes Absicht wird aber für Gott selbst, wenn es so ausgedrückt werden dürfte, zugleich mit einem äußerst dramatischen ‘Risiko’ zusammenhängen. Und zwar, angesichts der ganzen bisherigen unvernünftigen Schöpfung hat sich Gott gleichsam danach gesehnt, dass wenigstens eine Spur von bewusstgewordener und aufrichtiger, aus freien Stücken geäußerter Gegenseitigkeit eines der Geschöpfe erscheint.
– Diese Erwartung hat der Schöpfer mit seinem lebendigen Ebenbild: Mann und Frau, verknüpft. Er hat den Menschen ganz wunderbar erschaffen: als geistig-körperliches Wesen. Gott hat auf diesem seinem Werk gleichsam seine ganze Schöpfer-Kunst und -Liebe gesammelt. Der Unendliche Gott, Gottes mit nichts betrübte Glückseligkeit, Gottes Unleidbarkeit und die All-Vollkommenheit Gottes des Drei-Einigen ‘sehnte’ sich nach einem Minimum Liebe vonseiten seiner Schöpfung!

Nur deswegen stattet Gott der Unendliche dieses einzige eigenartige Geschöpf: sein lebendiges Ebenbild und seine Ähnlichkeit, mit der Gabe des Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung aus, dass in seinem Inneren Liebe ... erscheinen kann!
– Denn die Liebe benötigt ihrem Wesen nach den Raum der Freiheit. Die Liebe kann unmöglich entstehen, wo es keine Vernunft, noch Freiheit bei der Unternehmung von Entscheidungen gibt. Noch mehr: sollten diese Kennzeichen selbst bestehen, doch würde das betreffende Wesen, das mit ihnen ausgestattet wäre, unter Nötigung und Zwang handeln, bliebe jede Chance auf Erscheinung von Liebe von vornherein ausgeschlossen. Ähnlich auch wo die Reflexe nur nach dem Instinkt in Bewegung gebracht werden sollten, bestünde ontologisch gesehen keine Grundlage dafür, dass auch nur eine Spur von Liebe auftauchen würde (Auf dieses Thema kehren wir noch später zurück, u.a. im VII. Teil, im Kapitel 3-C: Freiheit – Gottes Gabe: funktionell-instrumentale Gabe – mit vorangehendem und folgendem Zusammenhang).

So dringen wir immer tiefer in das Geheimnis der Liebe ein. Wir bemerken, dass ‘Liebe’ nicht Frage allein des ‘Spontanen’ ist – als Reaktion angesichts des erscheinenden anderen Geschlechts. Liebe ist auch nicht Frage der Tatsache, dass und wie die ‘Bedürfnisse’ des Instinkts befriedigt werden können. Liebe ist in erster Linie Frage der Entscheidung des freien Willens und seiner Treue sich selbst gegenüber. Erst sekundär ist Liebe auch Frage der Gefühle, deren Intensität sich mit der Zeit beschwichtigen kann. Die Liebe gestaltet sich dann immer mehr in getreues beharrliches lebenslanges Verbleiben bei der einmal unternommenen Entscheidung auf Liebe und das Dasein-‘für’ den anderen: Gewählten, Geliebten.

Auf dieses Thema gilt es später zurückzukommen, wenn das Geheimnis der Sünde erwogen werden wird. Die Sünde beruht darauf, dass jemand bewusst und beabsichtigt seine bisherige Liebe zurückzieht. Allerdings schon für jetzt und um der weiteren Erwägungen willen gilt es sich mit einem klar und deutlich bewusstgewordenen, grundlegenden Ausklang der hier besprochenen Wirklichkeit zu rüsten.
– Und zwar, Gottes Gabe des ‘Selbstbewusstseins’ (Vernunft-Verstand), die Gabe der ‘Selbstbestimmung’ (freier Wille), wie auch ihre Resultante in Form der Befähigung, die vielfältige ‘Verantwortung’ unternehmen zu können – sind von Gottes Seiten nur funktionelle Geschenke. Deutlicher gesagt: diese Eigenschaften werden von Gott aus gesehen nur sekundär ‘gewollt-beabsichtigt’, sie erfüllen demnach nur eine instrumentelle Rolle. Indem Gott sein lebendiges Ebenbild: Mann und Frau mit diesen Gaben ausstattet, beabsichtigt Er etwas völlig anderes, wesentlich erhabeneres und höheres. Grundsätzliches Ziel dieser Gaben ist das, was es in der erschaffenen Wirklichkeit das ‘Allergrößte’ gibt, und zwar: dass endlich ... Liebe erscheinen kann! Dieses beabsichtigte Ziel wird zugleich zum „Ersten und Größten Gebot Gottes”: Gebot der Liebe zu Gott – Liebe zum Nächsten (vgl. Mt 22,38).

Dieselbe Beobachtung könnte gleichbedeutend noch negativ ausgedrückt werden: Sollte Gott sein lebendiges Ebenbild: Mann und Frau, mit der Gabe des Selbstbewusstseins – der Selbstbestimmung – der Befähigung zur Verantwortung nicht beschenkt haben, würde in der erschaffenen Welt niemals und nirgends die Liebe erscheinen.
– Selbstverständlich erschiene dann in der erschaffenen Welt auch niemals die Sünde und Hass. Das eine, wie das andere – ist Ausdruck der dramatischen, ungemein riskanten Größe des Menschen, Gottes Ebenbildes und Gottes Ähnlichkeit: seiner Fähigkeit lieben zu können, aber auch ... sündigen imstande zu sein. Erst der Mensch, Gottes Ebenbild, ist fähig, eine Sünde zu begehen. Zugleich ist er aber auch befähigt – erst Er: die Menschen-Person, zur Heiligkeit und zum Heroismus der Liebe, die sein eigenes Leben für die Freunde dahinzugeben imstande ist (vgl. Joh 15,13).

2. Möglichkeit
‘person-haft’
sich dahinzugeben

Wir greifen weiter die anthropologischen Erwägungen über das Geheimnis der Liebe auf, indem wir weiterhin die Überlegungen von Kardinal Wojtyła von Kraków benützen. Die Liebe wird im Willen gestaltet – genauer: in seiner Freiheit, die sich selber, also die eigene Person bewusst dahingibt. Liebe besteht nicht allein darin, dass bestimmte Gefühle-Empfindungen erlebt, bzw. wahrgenommen werden können – als Zeugnis der „Fähigkeit”, angesichts der ‘Fraulichkeit’ oder ‘Männlichkeit’ reagieren zu können” (LuV 220). So verstanden begrenzte sie sich auf „Befriedigung allein des Bedürfnisses, Gefühle erfahren zu haben”, dass man in jemandem „verliebt ist”, bzw. „Gefühle jemandes anderen wahrnehmen kann” (LuV 221). Indessen Liebe ist Sache des Willens, der sich dabei schöpferisch erweisen muss:

„Die Sinnlichkeit ... liefert für die Liebe den ‘Rohstoff’, aber unbedingt notwendig ist hinsichtlich dieses Rohstoffs eine angemessene schöpferische Haltung vonseiten des Willens. Ohne solche schöpferische Haltung kann es keine Rede von Liebe geben: es bleibt nur der Rohstoff, den die Begehrlichkeit des Fleisches allein verbraucht, indem sie sich an ‘ ihm auslebt’ ...” (LuV 220).


Liebe ist ‘sie-Selbst’, wenn sie Tugend der Liebe ist (LuV 175ff.). Sie beruht nicht ausschließlich auf Gefühlen und Empfindungen, sondern ist Erweis einer verantwortlichen Gestaltung des christlichen Lebens – samt seinen moralischen Anforderungen, deren Überschreitung eine moralisch böse Tat wäre (WprHV 29). Erzbischof Wojtyła schrieb:

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Zu bisherigen drei Geschwistern ist ein viertes hinzugekommen: die Eltern lieben sie alle. Gott möchte dieses Haus mit seinem Segen besuchen: mit Gabe der Elternschaft und Gabe heiterer Herzen.

„Dem Vollsinn des Begriffes nach ist Liebe eine Tugend, und nicht bloß ein Gefühl, noch umso weniger allein eine Erregung der Sinne. Diese Tugend bildet sich im Willen und verfügt über die Vorräte ihrer geistigen Potentialität, d.h. sie stellt ein echtes Engagement der Freiheit der Person-des-Subjektes dar, das der Wahrheit über die Person-das-Objekt entspringt” (LuV 182f).

Als Papst präzisiert der ehemalige Kard. Wojtyła, dass die Liebe „ihrem Wesen nach Gabe” ist (FC 14). Auch die oberhalb angeführten Konzilstexte (s. ob.: Gegenseitige Hingabe-Annahme) sammeln die Liebe um den „personal freien Akt”, in dem sich die Eheleute „gegenseitig schenken und annehmen” (GS 48f.).

Allerdings es taucht eine grundsätzliche Schwierigkeit hervor: die Person ist ihrer Natur nach unüberweisbar. Ist es also überhaupt möglich, die eigene Person – einer anderen Person dahinzuschenken? Erzbischof Wojtyła erklärt:

„Was wir die bräutliche Liebe genannt haben, besitzt von sich aus eine spezifische Qualität, die sie von anderen Formen und Manifestationen der Liebe unterscheidet ...
– Der Wert der Person ... bleibt untrennbar mit dem Sein der Person verbunden. Von Natur aus, d.h. aufgrund dessen, was für ein Sein sie ist, ist die Person – Herrin ihrer Selbst (lat. sui iuris) ... und kann einer anderen weder abgetreten werden, noch von einer anderen ersetzt werden – in dem, was den Anteil ihres eigenen Willens und das Engagement ihrer personalen Freiheit voraussetzt...” (LuV 185).

„Das, was das Personale ist, wächst über alle Form einer Hingabe heraus, und anderseits über jede Aneignung im physischen Sinn. Das was das Personales ist, steht über irgendwelche Form einer Übereignung, und anderseits einer Aneignung für sich – im physischen Sinn. Die Person als solche kann unmöglich fremdes Eigentum – gleichsam ein Ding – werden” (LuV 143).

Doch der Mensch ist gerade Mensch: er ist fähig über sich selbst zu bestimmen. Was „im physischen Sinn” (LuV 143) unmöglich ist, wird dank der Liebe möglich. Die Liebe kann nämlich freiwillig wollen, sich an eine andere Person dahinzuschenken.
– So hören wir wieder Worte des Kard. Wojtyła:

„Doch das, was in der Naturordnung und im physischen Sinn nicht möglich ist ..., kann in der Ordnung der Liebe und in einem moralischen Sinn zustande kommen. In solchem Sinn kann sich eine Person einer anderen geben oder auch ausliefern: sowohl an eine menschliche Person, als auch an Gott ...
Das zeugt von der besonderen Dynamik der Person, von besonderen Gesetzen, die ihr Dasein und ihre Entwicklung regeln” (LuV 143f).

„Die Liebe entreißt die Person gleichsam dieser naturgegebenen Unantastbarkeit und Unabtrittbarkeit. Die Liebe veranlasst nämlich, dass die Person sich einer anderen gerade dahinschenken will – dieser, die sie lieb hat. Sie will gleichsam aufhören ihr ausschließliches Eigentum zu sein – und Eigentum dieses anderen zu werden. Das bedeutet einen gewissen Verzicht auf dieses ‘Herr über sich selber’ zu sein (lat. sui iuris) und dieses ‘dem anderen unabtrittbar’ (lat. alteri incommunicabilis)(LuV 185).

Das führt zur weiteren Frage: Ob derjenige, der sich einer anderen Person dahingibt, irgendetwas verliert – oder auch gewinnt? Erzbischof Wojtyła sagt dazu:

„Liebe geht auf dem Weg solchen Verzichts (vom Gehören sich selber), indem sie sich aber nach dieser tiefen Überzeugung geleiten lässt, dass dieser Verzicht nicht zu einer Schrumpfung und Verarmung führt, sondern im Gegenteil – zu einer Ausweitung und Bereicherung der Existenz der Person. Es ist gleichsam ein Gesetz der ‘Ekstase’ : ein Aus-sich-Treten, um um so voller in diesem anderen da zu sein. In keiner anderen Form von Liebe wird diese Art und Weise so deutlich zur Wirklichkeit, wie es im Fall der bräutlichen Liebe geschieht” (LuV 185).

3. Kennzeichen
der personhaften Hingabe
aus Liebe

Kehren wir nochmals auf die Fähigkeit der Selbstbestimmung zurück, also des freien Willens. Diese Frage drängt sich im Zusammenhang mit der psychologischen Intensität auf, die das Erleben der Liebe üblich begleitet. Zu ihrem Ausdruck wird die biologische Kraft, die dem sexuellen Trieb eigen ist. Sie wirkt sich zweifellos auch auf der Liebe zwischen Mann und Frau aus. Alle Komponenten der Liebe: das Selbstbewusstsein, der Wille, die Gefühle und Empfindungen – zeugen auf ihre Art davon, dass sich die Liebe in der Tiefe des Seins zweier Brautleute-Gatten abspielt. Erzbischof Wojtyła bemerkt:

„Die sich so deutlich im Bewusstsein abzeichnenden sinnlichen und affektiven Erfahrungen stellen nur den äußeren Ausdruck und auch das äußere Kriterium dafür dar, was sich im Inneren der Personen abspielt – und jedenfalls unbedingt abspielen soll. Die Hingabe seines Selbst, seiner eigenen Person – kann nur dann vollwertig sein, wenn der Wille daran beteiligt ist, wenn sie Werk des Willens ist. Denn gerade dank ihrem freien Willen ist die Person – Herrin ihres Selbst ... , ist jemand unabtrittbarer und unüberweisbarer ...
– Die bräutliche Liebe, die Liebe der Hingabe, engagiert auf besonders zutiefe Art und Weise den Willen. Hier geht es bekanntlich darum, über sein ganzes ‘Ich’ zu verfügen: es muss die ‘Seele gegeben werden’ – um die Redeweise des Evangeliums zu gebrauchen” (LuV 186.).

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Mama! Mama! Mama...! Tata! Wo bist Du? Ich habe Angst allein zu sein! Komm her ...! – Gott der Güte und Barmherzigkeit, denkst Du noch an mich, wenn ich vom Unglück ins Unglück falle und untergehe?

Voraussetzung der „Hingabe seiner Seele” ist nicht nur die Sympathie (Zuneigung) zwischen zwei Personen – als Zeugnis eher eines „Erlebens (Empfindung-Erfahrung) als des Tuns” (LuV 142f.). Hier ist dagegen vor allem der Wille eingesetzt, als „Vermögen, das beauftragt ist, die Liebe im Menschen und zwischen den Menschen zu gestalten” (LuV 134f.). Liebe muss sich nämlich in Freundschaft umbilden. In der Freundschaft aber:

„... ist im Gegensatz zur Sympathie ... die Beteiligung des Willens entscheidend. ‘Ich will für dich das Gute, wie ich es für mich selbst möchte, für mein eigenes Selbst’ ...
– Die (in der Freundschaft) enthaltene Verdopplung des ‘Ich’ bringt den Aspekt der Vereinigung der Personen zum Ausdruck ...
– Die Vereinigung (in Sympathie) ... beruht ausschließlich auf Gerührtsein und Gefühl, wozu der Wille nur einwilligt. Dagegen bei Freundschaft ist selbst der Wille engagiert. Daher nimmt die Freundschaft in der Tat den ganzen Menschen in Besitz. Sie ist sein Werk, sie enthält in sich eine deutliche Wahl der Person. Und darin beruht gerade die objektive Kraft der Freundschaft” (LuV 135.).

Mit anderen Worten:

„... Man muss die Sympathie in Freundschaft umwandeln,
und die Freundschaft mit Sympathie vervollständigen ...
Denn ohne sie bliebe die Freundschaft
kühl und nicht kommunikativ” (LuV 135f.).


Eine weitere Komponente der Liebe besteht darin, dass dem anderen das Gute, das Wohl gewünscht wird:

„Wohlwollen bedeutet dasselbe, wie Uneigennützigkeit in Liebe: ‘Ich begehre dich nicht als ein Gut’, sondern: ‘Ich begehre dein Gut’, ‘ich begehre für dich das, was das Gute für dich ist’. Die wohlwollende Person wünscht dies, ohne an sich selbst zu denken (lat. amor benevolentiae), ohne irgendwelche Rücksicht auf sich selbst. Darum ist die wohlwollende Liebe ... – Liebe in wesentlich mehr unbedingtem Sinn als die begehrende Liebe. Sie ist die reinste Liebe ...
– Solche Liebe ist es auch, die das Subjekt am meisten vervollkommnet, die sein Dasein, wie auch die Existenz der Person, auf die sie sich richtet, zur größten Entfaltung bringt” (LuV 136f.).

Das Wohlwollen der geliebten Person gegenüber ist das Kennzeichnende der Liebe:

„So bemüht sich die wahre Liebe, in Ausnützung der natürlichen Willens-Dynamik, in die Beziehungen zwischen Mann und Frau einen zutiefst uneigennützigen Zug hineinzubringen, um diese Liebe von einer Nutznießenhaltung zu befreien ...
– Der Trieb will vor allem nehmen, sich die andere Person zunutze zu machen. Die Liebe will dagegen geben, das Gute schaffen, glücklich machen” (LuV 202f.).

So ist letztlich irgendwie Gott darin enthalten:

„Darin, dass man für ein zweites ‘Ich’ das unendlich Gute wünscht, liegt der Keim jedes schöpferischen Elans der wahren Liebe, die sich dazu aufschwingt, die Personen, die man liebt, mit Gutem zu beschenken, um sie glücklich zu machen.
– Das ist gleichsam der ‘göttliche’ Zug der Liebe. In der Tat, wenn ‘Er’ für ‘Sie’ ein ‘grenzenloses’ Gut will, will er für sie eigentlich Gott. Er allein ist die objektive Fülle von Gut und Er auch allein kann jeden Menschen mit solcher Fülle sättigen. Die Liebe des Menschen ... rührt irgendwie am nächsten an Gott vorbei” (LuV 202f.).


Mit dem Wunsch nach Gutem und Wohlwollen hängt die Frage der „Selbstlosigkeit der Gabe seines Selbst” und der „Gegenseitigkeit” in Liebe zusammen. Liebe des Mannes zur Frau ist Wirklichkeit, die „zwischen ihnen” besteht (LuV 126). Der Metropolit Wojtyła sagt:

„... Liebe ist nicht nur etwas in der Frau und etwas im Mann. In diesem Fall hätten wir eigentlich mit zwei Lieben zu tun. Liebe ist dagegen etwas Zusammenbestehendes und Einziges ...
... Diese zwei gesonderten psychologischen Tatsachen fügen sich zusammen und bilden eine einzige objektive Gesamtheit, gleichsam ein einziges Sein, in dem zwei Personen engagiert sind” (LuV 126).

Da aber die Person unüberweisbar und unabtrittbar ist, muss wiederholt festgestellt werden:

„Der Weg von einem ‘Ich’ zum anderen
führt ... über den freien Willen, über sein Engagement ...” (LuV 126).

Die Frage der Gegenseitigkeit bringt das Risiko der Liebe mit. Es kommt vor, dass die Liebe einseitig ist: sie wird nicht erwidert. Das kann tiefempfundenen Schmerz herbeiführen. Erst die Liebe, die als Tugend der Liebe erlebt wird, in der also der Wille sich völlig einsetzt: bei diesem anderen zu verharren, vermag diesen Schmerz zu meistern:

„Namentlich muss man untersuchen, was ‘in’ jeder der Personen liegt, die sich lieben, und infolgedessen auch, was ‘zwischen’ ihnen vorliegt. Man muss wissen, worauf die Gegenseitigkeit beruht und ob sie nicht bloß eine Illusion ist.
Liebe kann nur so lange dauern, als die Einheit, das reife ‘Wir’, vorhanden ist. Sie übersteht nicht, wenn sie bloß in einer Verbindung von zwei Egoismen besteht, in deren Gewebe zwei ‘Ich’ zum Ausdruck kommen. Die Struktur der Liebe ist die einer interpersonalen Kommunion ...” (LuV 131f.).


Auf solchem Hintergrund kehrt von neuem die Frage nach der Selbstlosigkeit (Uneigennützigkeit) zum Vorschein. Liebe entfaltet sich über die Zuneigung (das Gefallen), die den Wunsch und das Begehren hervorkommen lassen, aber ebenfalls den Wunsch eines Guten. Hier weitere Reflexionen von Kard. Wojtyła:

„Die Zuneigung (das Gefallen) hängt sehr eng mit Erleben des Wertes zusammen. Die Person des anderen Geschlechts kann das Erleben verschiedener Werte liefern ...
(Die Zuneigung) sammelt sich vor allem ... um den am stärksten erlebten Wert ...
Bei der Zuneigung (im Zusammenhang mit der Wahrheit, die in der Zuneigung enthalten ist) muss man unbedingt danach streben, dass dieses Gefallen (diese Zuneigung) nicht bloß auf Teil-Werte beschränkt bleibt, auf etwas also, was nur in der Person besteht, allerdings nicht sie selbst darstellt. Es geht darum, dass das Gefallen schlechterdings die Person betrifft – d.h. ... dass sie selbst den Wert darstellt, und nicht nur auf Gefallen wegen solcher oder anderer Werte verdient, die in ihr gefunden werden können” (LuV 118f.).

Die Zuneigung (das Gefallen) zieht das Verlangen nach sich, eventuell selbst das Begehren. Das Begehren unterscheidet sich aber deutlich von der Liebe:

„Das Begehren bildet eines der Elemente der Liebe – (inwiefern nämlich) die Liebe ebenfalls im Verlangen enthalten ist. Es gehört zum Wesen ... dieser Liebe, die sich zwischen Frau und Mann bildet. Grund dessen ist, dass die menschliche Person begrenztes Wesen ist, das nicht sich Selbst genügen kann, demzufolge es ... anderer Wesen bedarf” (LuV 120).

Das betrifft vor allem das gegenseitige „Bedürfen” von Frau und Mann. Es wird u.a. an der gegenseitigen geschlechtlichen Komplementarität von Mann und Frau offenbar:

„Dieses objektive, ontische Bedürfnis äußert sich über die Vermittlung des Sexual-Triebes. Auf dem Grundboden dieses Triebes entsteht die Liebe von Person zur Person: einer ‘Sie’ zu einem ‘Er’. Diese Liebe ist Liebe des Begehrens, denn sie geht aus einem Bedürfnis hervor – und strebt danach, ein Gut zu finden, das fehlt. So ein Gut ist die Frau – für den Mann, und der Mann für die Frau” (LuV 121).

Ob aber die Liebe des „Begehrens” mit Selbstlosigkeit der Liebe vereinbart werden kann, die doch „... ihrem Wesen nach ... Gabe ist” (FC 14; 37; GS 24)? Erzbischof Wojtyła bemerkt dazu:

„Doch es besteht ein tiefer Unterschied zwischen der Liebe des Begehrens (lat. amor concupiscentiae) und dem Begehren selbst (lat. concupiscentia). Das Begehren setzt das sinnliche Verspüren eines Mangels voraus. Dieses unangenehme Empfinden könnte dank der Vermittlung eines bestimmten Guten behoben werden ... So kann z.B. der Mann die Frau begehren; die Person erscheint dann als Mittel, um dieses Begehren zu stillen ... In diesem Fall würde es dem benutz-dienlichen Verhalten gleichkommen” (LuV 121).

In weiterer Folge bemerkt aber Kard. Wojtyła, dass die Liebe des Begehrens sich nicht allein als Begehren äußert, sondern als:

„... Verlangen nach einem Gut für sich: ‘Ich will dich, weil du für mich ein Gut bist’ ...
Darum wird die Liebe als Verlangen nach der Person erlebt, und nicht als Begehren allein.
Wenn das liebende Subjekt ... an seiner Liebe zur anderen Person arbeitet, lässt es nicht dazu, dass das Begehren überwiegt” (LuV 122).

Sollen sich die gegenseitigen Beziehungen zwischen Mann und Frau als beiderseitiger Bund der Liebe bilden, müssen sie offenbar – infolge der ständigen Bedrohung der Liebe wegen des sich aufdrängenden sinnlich-begehrlichen Gesichtspunktes – einer wachsamen Kontrolle seitens des Bewusstseins und des Willens ihrer beiden unterliegen. Allerdings:

„... Anderes bedeutet nutzbar, noch umso mehr nützlich zu sein,
und anderes Objekt der Nutznießung zu sein ...
... Die wahre Liebe des Begehrens ... schlägt niemals in utilitaristische Haltung um, wächst sie doch immerwährend (selbst beim Begehren-Verlangen) aus dem personalistischen Grundprinzip hervor ...” (LuV 122f.).


Der Erzbischof Wojtyła untersucht weiter die wechselseitige Beziehung zwischen der Liebe des Begehrens und Selbstlosigkeit der Hingabe:

„Die Liebe des Begehrens und Liebe des Wohlwollens unterscheiden sich voneinander, allerdings nicht so sehr, dass sie sich einander ausschließen müssten. Der ‘Er’ kann nämlich nach der ‘Sie’ als einem Gut für sich verlangen, aber gleichzeitig auch das Gute für die ‘Sie’ wünschen – unabhängig davon, dass diese ‘Sie’ für Ihn ein Gut bedeutet ...
Wenn nämlich der ‘Er’ nach der ‘Sie’ als das Gute für sich verlangt, sucht er vor allem nach Liebe dieser ‘Sie’ als Antwort auf seine Liebe, er verlangt also nach der anderen Person vor allem als der Mit-Schaffenden dieser Liebe, nicht aber als dem Gegenstand des Begehrens. Das ‘Eigeninteresse’ der Liebe würde hier also nur darin beruhen, dass sie nach einer Antwort sucht, und diese Antwort besteht gerade in gegenseitiger Liebe” (LuV 128).

Das Kennzeichen der Gegenseitigkeit, die mit der wahren Liebe untrennbar einhergeht, zeigt sich bei der Lösung des auftauchenden Dilemmas behilflich, wie es die beiden Aspekte zu vereinbaren gilt: das Verlangen-Begehren ‘für sich’ – und die ‘Selbstlosigkeit der Hingabe’, die das wesentliche Merkmal der Liebe bildet. Hier die weiteren Bemerkungen von Kard. Wojtyła:

„Da aber die Gegenseitigkeit zur Natur der Liebe gehört und daselbst ihr interpersonales Profil bestimmt, ist es schwierig von ‘Eigen-Interesse’ zu reden. Das Verlangen nach Gegenseitigkeit schließt den uneigennützigen Charakter der Liebe nicht aus. Im Gegenteil, die gegenseitige Liebe kann gründlich uneigennützig sein, auch wenn das, was den Inhalt der Liebe des Begehrens zwischen Frau und Mann darstellt, seine volle Befriedigung in ihr findet. Die Gegenseitigkeit bringt gleichsam die Synthese der Liebe des Begehrens-Verlangens, und der wohlwollenden Liebe zustande ...” (LuV 128).

Das Verlangen nach dem Guten, also Selbstlosigkeit der Gabe seines Selbst – samt dem Wunsch nach dem Guten, das in die letztliche Erfüllung in Gott einmündet, ist dieses Kennzeichen, dank dem die wahrhafte Liebe in sich so viel Willenskraft findet, um bei der geliebten Person auch dann beharrlich zu verbleiben, wenn die rein sexuell-sinnlichen Werte allmählich erblassen:

„Die wahre Liebe, die Liebe die sich mit innerlicher Fülle kennzeichnet, ist diese Liebe, in der man die Person um ihres Selbst willen wählt, also diese, in der der Mann die Frau, und die Frau den Mann – nicht nur als ‘Partner’ des sexuellen Lebens wählt, sondern als Person, der er das Leben hingeben will. Die in sinnlichen und affektiven Erfahrungen vibrierenden ‘sexuellen’ Werte begleiten zwar diese Entscheidung, sie tragen auch zu ihrer psychologischen Ausdrucksfülle bei, allerdings sie bestimmen ihre Tiefe nicht. Selbst der ‘Kern’ der Wahl der Person muss personhaft, und nicht nur sexuell sein” (LuV 196).

(Der Wert der Wahl) bestätigt sich vor allem ... in dem Zeitpunkt, da die sinnlich-affektive Erfahrung abschwächt, wenn die sexuellen Werte allein gleichsam zu wirken aufhören. Dann bleibt nur der Wert der Person und die innere Wahrheit der Liebe kommt zum Vorschein. War diese Liebe wahrhafte Hingabe und ein Einander-Gehören von Personen, wird sie nicht nur weiterbestehen, sondern sie stärkt sich sogar und fasst tiefere Wurzeln ...
– Man muss ernst damit rechnen, dass jede menschliche Liebe irgendeine Probe durchmachen muss. Erst dabei kommt ihr wahrhafter Wert zum Vorschein” (LuV 197).


Verzierung

RE-Lektüre: II.Teil, Kapit. 4a.
Stadniki, 8.XI.2013.
Tarnów, 25.V.2023.

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Viertes Kapitel. BETÄTIGUNGEN ‘CONTRA’:  WO IST HIER DER MENSCH ?
Anthropologische Bewertung

Bemerkung. Erklärung: Anthropologie

Zur Einführung

A. VERKEHR – HINGABE DER PERSON
1. Verdichteter Sinn der Ehe
Gegenseitige Hingabe und Annahme
Erzbischofs Wojtyla Erwägungen über das Wesen der Liebe
Grundsätzliche Ausstattung der menschlichen Natur: Vernunft-Wille-Verantwortung
Sinn der Ausstattung des Menschen mit Vernunft-Wille-Verantwortung
2. Möglichkeit sich ‘person-haft’ dahinzugeben
3. Kennzeichen der personhaften Hingabe aus Liebe

Bilder-Fotos

Abb.1. Schmetterling hat auf der Nase dieses großen Hundes gelandet
Abb.2. Unabdingbare und unabtrittbare Eigenschaften des Menschen als Person
Abb.3. Die Familie freut sich ihres vierten Kindes
Abb.4. Nacktes Kleinkind ruft nach der Mutter